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Hör-Tipp: Adipositas, Ernährung & Verstopfung bei Kindern- und Jugendlichen
Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes – Kinder leiden zunehmend unter ernährungsbedingten Problemen. Dr. Renate Turan erklärt, wie frühe Hilfe, Bewegung und Familientherapie wirken – und warum auch Verstopfung ernst genommen werden sollte.
Dr. med. Renate Turan, Leitende Oberärztin der Kinder- und Jugendmedizin am Immanuel Klinikum Bernau Herzzentraum Brandenburg, macht auf ein alarmierendes Problem aufmerksam:
Viele Kinder leiden unter hohem Blutdruck, starkem Übergewicht oder zeigen erste Anzeichen von Diabetes. Das ist ernst – und braucht rechtzeitiges Gegensteuern!
Wachstum hilft zwar etwas, aber ohne nachhaltige Ernährungsumstellung und mehr Bewegung geht es nicht.
In unserer Hochschulambulanz werden Familien erfolgreich beraten und begleitet – denn nur gemeinsam lassen sich gesunde Gewohnheiten dauerhaft etablieren.
Auch ein oft unterschätztes Thema: Verstopfung bei Kindern. Warum wird sie oft spät erkannt – und was kann man tun? Das können Sie in der Radio Paradiso-Sendung „Natürlich gesund“ nachhören.
Adipositas, Ernährung & Verstopfung bei Kindern- und Jugendlichen
Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes – Kinder leiden zunehmend unter ernährungsbedingten Problemen. Dr. Renate Turan, Leitende Oberärztin der Abteilung Kinder- und Jugendmedizin am Immanuel Klinikum Bernau, erklärt in der Sendung „Natürlich gesund“, wie frühe Hilfe, Bewegung und Familientherapie wirken – und warum auch Verstopfung ernst genommen werden sollte.
Julia Nogli
Sie sind bei Radio Paradiso mit der Sendung Natürlich gesund. Mein Name ist Julia Nogli und wir sprechen heute über ein großes Thema aus der Kinderheilkunde Adipositas Ernährung und Verstopfung. Expertin und Gast im Studio ist Dr. Renate Turan, leitende Oberärztin der Abteilung Pädiatrie, also Kinder- und Jugendmedizin im Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg. Hallo erst mal. Ich grüße Sie.
Dr. Renate Turan
Hallo. Vielen Dank für die Einladung.
Julia Nogli
Sehr gerne. Diese Abteilung, das ist sicher ganz schön viel, was das umfasst. Was genau bieten Sie dann dort alles?
Dr. Renate Turan
Wir haben eine Station mit ungefähr zwölf Betten und betreuen alle Kinder vom Neugeborenenalter bis zum 18. Lebensjahr.
Und zusätzlich haben wir das große Glück, dass wir, da wir in der Hochschule angebunden sind, eine Hochschulambulanz haben. Und dort sehen wir eben häufig Patienten, die etwas komplexer sind oder wo die niedergelassenen Kinderärzte eine Zweitmeinung wünschen oder auch Eltern, die gerne noch mal eine Zweitmeinung haben möchten. Und im Rahmen dessen sehen wir eben zunehmend viele Kinder, die Gewichtsprobleme haben oder die sehr viel mit Verstopfung zu kämpfen haben, sodass ich denke, dass das ein Thema ist, was wirklich sehr breit gestreut besprochen werden kann.
Julia Nogli
Ja, deswegen hatten Sie das im Vorfeld vorgeschlagen. Finde ich gut. Genau.
Sie beobachten das sozusagen. Und das ist ja nicht nur vielleicht nicht schön, sondern eben auf jeden Fall auch ein gesundheitlicher Aspekt. Also wenn ein Kind schon übergewichtig ist und es ist eben nicht so, dass man sagen kann, das verwächst sich und so, sondern man muss da aufpassen.
Dr. Renate Turan
Ja, vor allem genau das mit dem Verwachsenen, da haben Sie den richtigen Nerv getroffen, denn die Kinder wachsen ja noch. Das bedeutet, wenn man da frühzeitig versucht zu intervenieren, dann wachsen die Kinder aus ihrem Gewicht raus. Also das heißt, unser Ziel ist nicht eine Gewichtsabnahme, eine Reduktion, wie es bei den Erwachsenen wäre, sondern uns reicht völlig aus, wenn die Kinder nicht mehr zunehmen, denn die wachsen ja dann einfach weiter, sodass das Gewicht sich dann normalisiert aufgrund des Wachstums.
Und das ist unser großes Plus, was wir haben. Man muss einfach nur da frühzeitig einhacken.
Julia Nogli
Genau, das ist ein ganz anderer Herangehensweise als beim Erwachsenen, der dann irgendeine Diät, eine Ernährungsumstellung, also das sicher sowieso auch oder ein bisschen nachher zum Magenband oder so weiter, das sind ganz andere Geschichten.
Hier geht es darum, ja, Lebenswandel auch hier schon, Ernährung.
Dr. Renate Turan
Definitiv, ja.
Julia Nogli
Und was sind da die Tipps?
Dr. Renate Turan
Vor allem einmal Ernährung. Also wie Sie es schon gesagt haben, wir sehen ganz häufig, dass viel fertig verarbeitetes Essen gegessen wird in den Familien aufgrund von Zeitmangel. Und natürlich ist es so, dass es schwierig ist, heutzutage alles unter einen Hut zu bringen.
Aber da muss man noch mal ein bisschen den Fokus darauf richten, dass frisch gekochtes Essen, viel Gemüse, viel vollwertige Kost einfach wichtig sind, damit alles gut funktioniert. Und wenn man sich vorstellt, wenn ein Kind wächst, dann wir werden ja mehr. Also wir legen nicht nur an Gewicht zu, sondern wir unsere Knochen wachsen, unsere Muskeln wachsen.
Alles, was da an Material dazu kommt, das erhalten wir aus unserer Ernährung. Und wenn wir uns Gutes zuführen, dann kommt am Schluss was Gutes dabei raus. Das bedeutet, wir müssen da eben gucken, dass wir da noch ein bisschen schulen und da familiär betreuen.
Denn das Kind, das Fünfjährige, kocht sich ja das Essen nicht selber. Das heißt, wir machen in dem Fall tatsächlich eher eine Beratung der gesamten Familie, weil das dann einfach dazugehört. Man kann nicht dem Fünfjährigen dann sagen, du kriegst heute nur einen Salat und der Rest ist Pommes.
Also es funktioniert natürlich nicht. Da haken wir einmal ein, dann haben wir die Bewegung, die super wichtig ist, dass man eben nicht den ganzen Tag am Fernseher sitzt oder am Handy oder am Laptop, dass man die Screen-Zeiten reduziert, dass die Kinder rausgehen, Sportangebote wahrnehmen, auch ländlich. Da gibt es ja viele Vereine.
Und solche Dinge sprechen wir mit den Familien durch und versuchen sie eben da auf den richtigen Weg zu lenken. Und dann sehen wir die immer wieder und versuchen eben immer noch an kleineren Schrauben zu justieren.
Julia Nogli
Also das ist ja wirklich eine richtige Begleitung. Wird sowas dann auch übernommen von Krankenkassen?
Dr. Renate Turan
Ja, das ist eben der große Vorteil, dass wir diese Hochschulambulanz haben, dass wir das über diese Hochschulambulanz machen können. Eigentlich gibt es sogar wundervolle Programme für adipöse Kinder.
Auch in Berlin gibt es zwei Kliniken, die das anbieten. Aber die sind einfach immer überlaufen, weil die Anzahl der Kinder so massiv zugenommen hat, auch durch Corona, weil man da viel Bewegungsmangel hatte und einfach die Zeit so verrückt und anders war, dass diese Programme alle so voll sind, dass wir die nicht unterkriegen. Und das ist auch der Grund, warum wir dieses Programm bei uns mit aufgenommen haben, weil wir die Kinder einfach irgendwie unterstützen möchten, die da keinen Platz kriegen.
Aber da gehört eben die große Bandbreite dazu. Es reicht nicht, nur einen Termin zu machen und dann läuft das alles, sondern man muss sie immer wieder sehen und immer wieder gucken, dass man sie unterstützt.
Julia Nogli
Welche gesundheitlichen Folgen hätten die Kinder sonst oder haben sie schon?
Dr. Renate Turan
Also da sehen wir tatsächlich auch schon wirklich kranke Teenies und kranke Kinder, die Bluthochdruck haben, die Veränderungen am Augenhintergrund haben. Zum Teil fallen die eben auch in den Vorsorgeuntersuchungen auf. Also gerade die Teenies, wenn die zur J-Untersuchung gehen zum Kinderarzt und er misst den Blutdruck, dann kommen die zu uns und kriegen dann eben Langzeit-Blutdruckmessungen.
Und wir gucken, woher kommt das? Und in den allermeisten Fällen ist das einfach das Übergewicht. Und mit denen muss man dann sprechen, dass das so schwierig ist.
Wenn man jetzt schon irgendwie mit 13, 14 Jahren so schlechte Werte hat, dann ist das einfach für den Körper mit 30, dann ist der wie ein 60-Jähriger. Und dann ist das problematisch. Und da muss man auch ehrliche Worte finden.
Natürlich bespricht man es mit einem 13-Jährigen oder 15-Jährigen anders als mit einem 5-Jährigen. Da muss man auch ein bisschen quasi sich anpassen an das Alter des Kindes. Aber das ist schon sehr relevant und wir sehen das wirklich häufig und viel.
Julia Nogli
Auch Diabetes?
Dr. Renate Turan
So Diabetes-Vorformen sehen wir ab und zu, dass wir eben gucken und sehen, dass der Blutzuckerspiegel schon erhöht ist. Die knacken dann diese Diabetes-Werte noch nicht, die die Erwachsenen haben.
Aber da muss man auch aufpassen. Also das ist durchaus auch möglich.
Julia Nogli
Ist es denn, könnt ich mir vorstellen, nicht immer so ganz leicht, mit den Eltern zu sprechen, da überhaupt erst mal so abzufragen?
Was essen sie denn so? Was kommt bei ihnen auf den Tisch? Da ist dann bestimmt auch viel Scham.
Da wird vielleicht auch nicht gesagt, wie oft es eben doch Spaghetti-Pommes-Pizza sind. Oft sind die Eltern ja selber übergewichtig. Das sieht man ja auch oft.
Und ich glaube, dadurch haben sie auch eine größere Toleranz. Dann ist das Kind eben ja so wie wir. Wir sind alle ein bisschen dicker.
Dr. Renate Turan
Definitiv. Das ist das große Problem, dass das eben ein familiäres Problem ist. Ganz häufig.
Wir haben super selten Kinder, wo es eben nur das eine Kind betrifft. Das gibt es manchmal auch, wenn die irgendwelche psychologischen Faktoren haben, die mit einer Rolle spielen. Mobbing zum Beispiel.
Dann kann es sein, dass es nur das Kind ist. Aber in aller Regel ist es tatsächlich die gesamte Familie. Und da muss man eben auch bei den Eltern anfangen.
Und es ist nicht nur die Scham das Problem, sondern auch, dass man gucken muss, dass die Leute auch ehrlich sind. Also wir müssen ihnen vermitteln, dass es nichts bringt, wenn sie uns anschwindeln. Denn wir können nur an den Stellen einhaken, die wir besprechen, die wir sehen.
Wenn sie uns etwas aktiv verheimlichen, dann können wir das Problem natürlich nicht angehen. Aber das ist dann durchaus das Problem. Also wir sehen, dass das bei den Eltern schon anfängt.
Und das hat ein bisschen auch mit dem sozioökonomischen Status zu tun. Leider dass in Familien, wo das nicht so bewusst ist, was Ernährung für eine Rolle spielt, dass das da einfach noch ein bisschen schwieriger ist, das zu erklären.
Julia Nogli
Sie würden sich sicher auch wünschen, dass es ein Schulfach wäre.
Dr. Renate Turan
Hundertprozentig. Also ein Schulfach zur Ernährung und auch zu dem, wie man einkaufen geht. Oft würde ich mir wünschen, wenn ich einkaufen gehe und ich sehe in diesen Einkaufswagen bei der Familie nebenan und dann gucke ich da rein und denke mir, um Gottes willen, dann würde ich denen einfach gerne mal zeigen.
Jetzt gucken Sie mal, wie viele Kalorien diese Kekse haben. Oder warum kaufen Sie jetzt genau die Vollmilch, wenn es jetzt vielleicht auch die fettarme täte? So.
Also natürlich muss man nicht immer auf irgendwelche super kalorienreduzierten Fake-Dinge reinfallen, die man so findet im Laden. Aber natürlich muss man schon auch gucken, was man den Kindern kauft. Und man sagt so als groben Daumen-Richtwert 10 Prozent der Nahrung am Tag darf durch Süßigkeiten sein.
Und das ist bei einem kleineren Kind einfach schon eine Kugel Eis und ein Butterkeks. Dann ist das nicht die ganze Packung Chips. Das ist viel zu viel.
Und die wissen oft gar nicht, wie viele Kalorien dahinter stecken. Die gucken sich diese Verpackungen nicht an. Natürlich muss man schummeln.
Julia Nogli
Die schummeln ja auch.
Ja, also das ist. Nun hat ja Essen auch viel mit Psychologie zu tun, mit Gewohnheit auch. Und ich denke mal, je älter die Kinder dann sind, desto mehr ist der Geschmack natürlich schon ausgerichtet auf salzig süß.
Das kennt man ja selber auch so ein bisschen. Total. Und das ist auch gar nicht so einfach, dann da umzusteuern.
Dr. Renate Turan
Nee, überhaupt nicht. Und das Witzige ist, dass es sogar Studien gibt, die belegen, dass sogar schon im Mutterleib der Geschmackssinn dargeprägt wird, dass wenn eine Mama viel salzig ist während der Schwangerschaft, die Kinder eher an Salziges gewöhnt sind, weil das Fruchtwasser dann schon einen anderen Flavor hat. So kann man sich das vorstellen.
Und das ist schon auch so, dass man dann später gucken muss, in welche Richtung die Reise geht. Also da hat einfach auch, leider heutzutage muss man sagen, haben auch wir als Gesellschaft eine große Verantwortung. Früher war es so, dass die Kinder lange zu Hause waren und die Mütter Hausfrauen.
Und dann hatte man die Zeit. Das ist nicht mehr so. Das bedeutet, wenn die Kinder in die Kita, in die Grundschule oder Schule gehen, haben wir schon auch da die Verantwortung, den Kindern Bewusstsein mitzugeben für die Ernährung, für die Bewegung, für den Körper, dass man später einfach nicht mit 60 sich nicht mehr bewegen kann.
Julia Nogli
Ja, das kann man ja nicht wollen. Und wie gesagt, es ist ja auch optisch nicht schön. Also und es müsste dann irgendwann ja mal auch Klick machen, vielleicht sogar eher bei den Mädchen, dass es ja natürlich auch schöner ist, wenn man wieder schlanker wird, sich wieder normaler fühlen kann, weil sie wissen das ja auch.
Dr. Renate Turan
Das stimmt, wobei man sagen muss, dass wir mittlerweile eine sehr große Curvy Generation haben, die einfach sagt, es ist auch schön, wenn man weiblich ist und gegen Weiblichkeit ist auch überhaupt nicht einzuwenden, solange man, solange man irgendwie gesund ist dabei. Also es gibt auch Frauen, die weiblich sind und sich trotzdem gut bewegen können und die im Zweifel einen Marathon laufen.
Julia Nogli
Das sieht man manchmal.
Dr. Renate Turan
Das ist überhaupt nicht das Problem. Man hat auch ein bisschen eine genetische Ausstattung mit. Also ob jetzt jemand dazu veranlagt, ist eher viel zu verbrennen oder weniger.
Aber das Gesamtkonzept muss stimmen und das Bewusstsein muss da sein. Und wenn man das von zu Hause nicht mitkriegt, dann muss es eben irgendwo anders vermittelt werden.
Julia Nogli
Und wie läuft dann sowas ab?
Ich nehme an, das Erstberatungsgespräch ist recht lang und dann gibt es ein paar Folgetermine. Aber Sie können ja nun nicht für immer begleiten.
Dr. Renate Turan
Nee, wir begleiten, es geht nicht für immer.
Aber wir sehen schon, wenn es in die richtige Richtung geht, dann kann man das ein bisschen reduzieren. Aber so im Schnitt sieht man sich einmal und dann guckt man, wie dramatisch die Situation ist. Und dann entscheidet man, ob der Folgetermin in einem Monat ist oder in zwei Monaten.
Und wir hatten jetzt letzte Woche den Fall, wo wir sehr positiv überrascht waren, weil der Patient nicht nur sein Gewicht gehalten hat, sondern eben 700 Gramm abgenommen hat, was super ist. Ja, und dann natürlich, wenn so ein Patient wiederkommt, dann bespricht man das mit dem und freut sich darüber und versucht, das Positive rauszuarbeiten. Der hat in dem Fall vielleicht jetzt nicht alles umgesetzt, was wir besprochen haben.
Aber dann reitet man natürlich nicht auf den zwei Punkten rum, die er nicht umgesetzt hat, sondern freut sich darüber, dass das andere so gut funktioniert. Dann motiviert man die Patienten und wenn die sehen, dass es in die richtige Richtung geht, die nehmen ab, die bewegen sich mehr, ihnen geht es besser, dann funktioniert das auch von alleine einfach deutlich besser.
Julia Nogli
Das spiegeln die auch, die jungen Menschen, dass es ihnen wirklich auch besser geht, dass sie mehr Energie haben.
Dr. Renate Turan
Ja, natürlich. Ich meine, es ist ja oft auch ein Mobbing-Faktor, muss man sagen, bei diesen Patienten, die dann einfach so unglaublich dick sind, dass es für sie schwierig ist. Dann vergräbt man sich ins eigene Zimmer und dann kommt man gar nicht mehr raus.
Und so hat man dann einen Teufelskreis.
Julia Nogli
Sie hatten vorhin schon Screen-Time angesprochen, also dieses, wie oft bin ich, wie viel am Handy. Das ist ja, denkt man, ein anderes Problem, aber es spielt hier mit rein.
Dr. Renate Turan
Natürlich, natürlich, weil wir haben, wenn man so guckt, also ich in meiner Kindheit, wir waren einfach überwiegend draußen und haben draußen gespielt. Da gab es diese ganzen Dinge nicht, da kam gerade so der Gameboy raus und das war schon was, wo man, das hatten ganz wenige. Und jetzt ist es einfach so, dass das zum Leben dazugehört.
Ganz verbieten wird man das nicht können. Das macht auch keinen Sinn, denn man kommt nicht drumherum. Überall gibt es diese Dinge.
Aber man muss versuchen, irgendwie ein gesundes Bewusstsein dafür zu haben, wie viel ist möglich und wie viel ist nicht möglich. Und wenn ein vier-, fünfjähriges Kind schon am Tag drei Stunden vor dem Tablet sitzt, dann ist das einfach zu viel. Dann funktioniert das nicht.
Dr. Renate Turan
Also da beraten Sie dann auch mit in diese Richtung.
Julia Nogli
Das hat ja noch viele andere gute Konsequenzen, wenn man das reduziert. Thema war auch Verstopfung, das Sie vorgeschlagen haben.
Das hätte ich jetzt gar nicht auf dem Schirm gehabt in Bezug auf Kinder. Ist aber, hat eine Dimension.
Dr. Renate Turan
Ja, ist eine riesige Dimension, haben wirklich unglaublich viele Kinder.
Das ist auch ein großer Teil der Patienten, die wir in unserer Hochschulambulanz sehen. Die kommen häufig mit der Fragestellung chronische Bauchschmerzen. Und natürlich hat der Kinderarztambulant nicht die Zeit, sich eine Stunde mit denen hinzusetzen und zu sprechen.
Das geht gar nicht. Also nicht, weil die das nicht möchten, sondern weil es im Praxisalltag einfach nicht so gedacht ist, dass der Kinderarzt fünf Patienten am Tag sieht, sondern der sieht eben im Zweifel 30, 40, 50, wenn Winter ist. Und wir haben dann die Möglichkeit, uns für eine gute Anamnese hinzusetzen.
Und dann arbeitet man solche Sachen raus. Und ganz häufig ist es so, dass die Kinder kaum trinken, dass es dann morgens schon das Toastbrot mit Nutella gibt und mittags gibt es Nudeln und abends gibt es dann wieder irgendwie eine Packung Gummibärchen und irgendwie wieder ein Toastbrot. Und dann hat man einfach kaum Ballaststoffe zu sich genommen und dann kriegen die Kinder Verstopfung.
Und dann ist es so, dass sie beim ersten Stuhlgang, der härter ist, tut ihnen das weh und dann verkneifen sie sich das. Und das ist wirklich was, was so massiv ist. Und wir sagen den Eltern immer, solange wie die Verstopfung besteht, so lange brauchen wir, bis wir sie wieder aufgelöst haben.
Das heißt, die Therapie ist auch lang. Und dann kriegen die häufig, wenn es nicht nur, wenn es nicht reicht, dass wir nur mehr trinken und mehr Ballaststoffe empfehlen. Dann kriegen die spezielle Medikamente, die einfach den Stuhlgang weicher machen.
Das ist kein Abführmittel, also keine Sorge. Das ist nichts, woran man sich eben dann gewöhnt und was den Darm lahmlegt später, sondern einfach. Da sind solche langkettigen Zuckermoleküle drin, die das Wasser binden und damit wird der Stuhlgang weicher.
Aber es ist eine lange Zeit, die das braucht, bis sich das wieder einpegelt. Und dann muss man denen wieder sagen, sie müssen nach jeder großen Mahlzeit zehn Minuten auf die Toilette sitzen. Dass der Reflex, dass man eben was gegessen hat und dann aufs Klo geht, dass das wieder in Gang kommt oder morgens eben auch morgens nach dem Frühstück, mittags Nachmittag essen, abends nach dem Abendessen.
Und das ist einfach belastend, häufig für die gesamte Familie. Also das ist wirklich anstrengend.
Julia Nogli
Ab wann ist denn Verstopfung, wenn da zwei Tage nichts ist oder drei? Kann man das? Vielleicht fällt es ja auch den Eltern erst mal gar nicht so auf.
Dr. Renate Turan
Genau das ist es nämlich. Es gibt keinen. Ab dann ist es die Verstopfung und ab dann ist es ganz super schwierig, denn es gibt Leute, die haben alle zwei Tage Stuhlgang und dann ist das total okay. Aber wenn jemand quasi so, wir sagen dazu Überlaufstuhl, wenn jemand zum Beispiel so viel Verstopfung hat, dass es irgendwo einen richtigen Klumpen gibt, dann können die Kinder im Zweifel auch Durchfall haben.
Und der Durchfall geht quasi um diesen Stuhlklumpen rum und dann haben die den alle zwei, drei Tage. Aber dieser Stuhlklumpen hängt trotzdem da, wo er hängt und verursacht die Probleme und die Bauchschmerzen. Und dann muss man das eben auflösen.
Wir machen dann Ultraschalluntersuchungen und gucken, wie gefüllt ist der Darm, wie breit ist der, weil der leiert ja dann auch aus, wie alles, was man irgendwie füllt und füllt. Und dann betreuen wir auch da die Eltern mit, zusammen mit den ambulanten Kinderärzten. Und das ist oft schwierig, weil die Eltern einem auch leidtun können.
Die sagen, ich kriege im Kindergarten nicht mit, wie viel mein Kind trinkt oder in der Kita. Und das ist einfach, was will man machen? Man kann ja sein Kind nicht zu Hause lassen den ganzen Tag, aber man muss dann versuchen, in der Zeit, wo das Kind zu Hause ist oder in den Wochenenden einfach ein gutes, wie soll man sagen, eine gute Trinkleistung hinzukriegen und die Kinder daran zu führen.
Und auch da wichtig, wir möchten nicht, dass die Kinder den ganzen Tag irgendwie Vollmilch trinken, denn die hat A viel Kalorien und B ist das überhaupt nicht das, was die Verstopfung auflöst, sondern es sollte eben entweder Wasser sein oder ungesüßte Tees, irgendwas, was jetzt nicht auch noch zusätzlich Probleme verursacht.
Julia Nogli
Und natürlich auch keine zuckerhaltigen Sachen.
Dr. Renate Turan
Ja, hundertprozentig. Im Grunde nicht mal die Apfelschorle oder sowas. Nee, also so ganz verdünnter Saft, das sagen wir geht schon auch, wenn die Kinder nichts anderes wollen. Aber also wenn jetzt jemand kommt und sagt, ich würde gerne den ganzen Tag Energydrinks trinken, dann ist das natürlich auch nicht sinnvoll.
Julia Nogli
Also das könnte man vielleicht ja spielerisch mit den Kindern irgendwie so eine kleine Leistung, dass man das an der Flasche sieht oder so.
Dr. Renate Turan
Ja, ja, es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man kann Punkte in der Wohnung irgendwo hinkleben und wenn man die dann sieht, dann wird man daran erinnert, dass man was trinkt oder eben Flaschen, die wenn man sie leer kriegt, dass es dann irgendwie eine Belohnung gibt oder dass man was Schönes macht oder so.
Also da gibt es schon viele Möglichkeiten, das irgendwie auszuschöpfen. Aber es ist natürlich Arbeit. Es ist alles mit schon mit Arbeit und mit Kontrolle ein bisschen verbunden, weil man gucken muss, wie viel hat das Kind getrunken?
Und auch wenn wir diese Medikamente geben, die den Stuhlgang weicher machen, die funktionieren auch nur in Kombination mit Flüssigkeit, weil natürlich ohne Flüssigkeit wird der Stuhlgang wieder fest. Das heißt, wir haben so einen Teufelskreis.
Julia Nogli
Wenn Sie mal so zum Schluss mal drei Sachen sagen könnten, die Sie sofort bei der Ernährung am liebsten dann ändern wollen würden, wenn Sie hören, dass es in die falsche Richtung geht, was wären so die drei Sachen, die man doch möglichst gleich am nächsten Tag ändern sollte?
Dr. Renate Turan
Also zuckerhaltige Getränke weglassen. Also wenn jemand nur Energydrinks oder Cola trinkt, das ist natürlich was, was unglaublich viele Kalorien liefert. Also wir haben ungefähr, ich glaube, 46 Kalorien auf 100 Milliliter in der Cola.
Und wenn wir da einen Liter am Tag trinken, ist es im Zweifel schon fast der Tagesbedarf von einem kleineren Kind. Also das, das will man natürlich nicht. Das Zweite ist, dass man die Dinge, die man umstellen kann auf Vollkornprodukte, dass man die eben umstellt, dass man nicht das Weißbrot zum Frühstück isst oder vielleicht nicht die normalen Nudeln, sondern die Vollkorn Nudeln sich holt, weil da eben mehr Ballaststoffe drin sind.
Das wäre das Zweite. Und das Dritte ist, dass man die Süßigkeiten einschränkt. Also häufig sind es dann auch Kinder, die wirklich viel Süßes essen.
Und wenn man sich fragt, was hat man denn an Obst und Gemüse im Kühlschrank? Dann ist das einfach schwierig. Dann geben die manchmal gar nicht wirklich Antwort, weil sie das gar nicht wissen.
Julia Nogli
Die haben da kein Interesse dafür. Das gilt es zu wecken. Wunschvorstellung.
Auch die Schule und die Kita könnten helfen, das Wissen um gesunde Ernährung zu vermitteln. Zusammen kochen, Salat schnippeln. Auf jeden Fall ist es gut, das Thema anzugehen und nicht zu verdrängen.
Wenn ein Kind schon stark übergewichtig ist, wird sich das nicht von alleine wieder regulieren. Wenn Sie mehr über die Hochschulambulanz oder über die Abteilung Pädiatrie, Kinder- und Jugendmedizin in Bernau wissen möchten, schauen Sie hier in der Mediathek auf www.paradiso.de. Stichwort natürlich gesund. Einen wundervollen Abend für Sie mit Radio Paradiso.