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Hör-Tipp: Frauenherzen im Fokus
Dr. Viyan Sido erläutert in der aktuellen Folge von „Natürlich gesund“ auf Radio Paradiso die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Herzmedizin.
In der aktuellen Folge von „Natürlich gesund“ auf Radio Paradiso spricht Dr. Viyan Sido, Fachärztin für Herzchirurgie im Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg, über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Herzmedizin.
Die Themen:
- Warum zeigen Frauen oft andere Symptome beim Herzinfarkt?
- Welche Rolle spielen Hormone und Stoffwechsel?
- Worauf sollten Frauen bei der Herz-Kreislauf-Gesundheit besonders achten?
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Frauenherzen im Fokus
Dr. Viyan Sido erläutert in der aktuellen Folge von „Natürlich gesund“ auf Radio Paradiso die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Herzmedizin.
Julia Nogli
Schön, dass Sie dabei sind. Hier ist natürlich gesund auf Radio Paradiso. Mein Name ist Julia Nogli und unser Thema heißt heute Frauenherzen im Fokus.
Darum tickt das Herz von Frauen anders. Expertin am Telefon ist Dr. Viyan Sido, Fachärztin für Herzchirurgie am Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg. Sie leiten dort seit 2022 eine spezielle Sprechstunde für Frauen.
Und Sie sind jetzt eigentlich auch in Hamburg zugange, oder? Schönen guten Abend erst mal.
Dr. Viyan Sido
Hallo, guten Abend. Vielen Dank, dass ich dabei sein darf. Ja, genau.
Also ich befinde mich gerade in der Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin. Und ja, also man kann sagen, ich verfolge dabei den Ansatz Health Care statt Sick Care zu praktizieren, also Gesundheit zu fördern, anstatt nur Krankheiten zu behandeln.
Julia Nogli
Das ist eigentlich auch ein interessanter Move, wie man so sagt. Herzchirurgin und jetzt Allgemeinmedizin?
Dr. Viyan Sido
Ja, ich glaube, man lernt einfach nie aus, oder? Und gerade in der Medizin ist es ein lebenslanges Lernen.
Julia Nogli
Ja, das stimmt. Okay. Wir wollen halt fangen an mit den mit den Frauen, die eben unterschiedlich ticken, also ihre Herzen oder anders schlagen.
Bevor wir gleich noch genauer hören, warum es zum Beispiel andere Symptome beim Herzinfarkt gibt, würde ich gerne erst mal hören. Was ist eigentlich ein Herzinfarkt? Was passiert da eigentlich und warum ist er so gefährlich?
Dr. Viyan Sido
Also wir wissen, bei einem Herzinfarkt wird ein Teil des Herzmuskels eben nicht mehr ausreichend durchblutet und das betroffene Areal oder der betroffene Herzmuskel kann dann absterben, weil er eben nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Und das kann eben auch ganz fatale Folgen haben und lebensbedrohlich sein. Also von dauerhaften Herzschäden bis hin zu Herzrhythmusstörungen oder sogar plötzlichem Herztod.
Julia Nogli
Kann es sein, dass man manchmal auch einen Herzinfarkt hat und erst später sozusagen daran stirbt? Also das ist nicht der Moment oder das geht voraus oder?
Dr. Viyan Sido
Genau. Also es gibt zum Beispiel den stillen Herzinfarkt. Das heißt, man bekommt das gar nicht mit.
Man wundert sich, warum es einem schlecht geht, der Allgemeinzustand schlecht ist, warum man zunehmend müde ist. Und gerade bei Frauen kann das eben der Fall sein oder auch bei Patienten mit Diabetes sehen wir den stillen Infarkt. Und ja, es ist nicht immer so, dass man gleich am plötzlichen Herztod verstirbt, sondern dass das Ganze dann eben noch einen langen Prozess mit sich bringt.
Man operiert werden muss oder eben einen Stand bekommt. Also das ist sehr individuell.
Julia Nogli
Oder schlimmstenfalls gar nicht erkannt wird, dass das passiert ist. Und die Symptome sind tatsächlich bei Frauen anders als bei Männern?
Dr. Viyan Sido
Genau, wir wissen, dass die Symptome bei Frauen atypisch sein können. Also wir kennen ja die klassischen Brustschmerzen, die wir von den Männern kennen, die Atemnot. Aber es kann eben bei Frauen sein, dass sie Übelkeit haben, Oberbauchschmerzen, Rückenschmerzen, Erschöpfung, Schlafstörungen.
Und wenn wir ehrlich sind, dann denken wir gerade bei diesen Symptomen oder gerade junge Ärzte denken nicht immer an einen Herzinfarkt.
Julia Nogli
Die Patientin aber wahrscheinlich auch nicht und geht deswegen nicht gleich zum Arzt.
Dr. Viyan Sido
Genau, das ist auch ein sehr großes Problem, dass weder die Mediziner, aber auch gerade die Betroffenen selbst diese Symptome gar nicht erkennen. Und das kann dazu führen, dass Frauen im Schnitt später ins Krankenhaus kommen oder später Hilfe bekommen. Und deshalb haben sie auch ein höheres Risiko für Komplikationen oder Todesfälle.
Mhm.
Julia Nogli
Worauf sollten denn Frauen besonders achten in puncto Herz-Kreislauf-Gesundheit?
Dr. Viyan Sido
Man sollte sich zum einen bewusst machen, dass eben Herz-Kreislauf-Erkrankungen keine Männersache sind. Also das dachten wir leider immer, sondern man sollte sich klar vor Augen führen. Ja, das kommt auch bei Frauen vor und es ist sogar die häufigste Todesursache bei Frauen.
Und in diesem Zusammenhang würde ich sagen, ist auch die Prävention sehr wichtig und essentiell. Also man sollte sich klarmachen, regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung, Stressbewältigung, der Umgang mit Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes. All das spielt eben gerade bei Frauen eine Rolle.
Und wenn wir da an den Stress denken, dann ist es auch häufig so, dass Frauen häufig viel empfindlicher auf Stress reagieren. Und das wiederum kann sich auf das Herz-Kreislauf-System auswirken.
Julia Nogli
Hintergrund ist ja, so kann man immer wieder lesen, zum einen ein anderer Stoffwechsel und die Hormone, die Schwankungen, die da im Leben einer Frau passieren.
Dr. Viyan Sido
Genau. Also ein großes Thema ist natürlich der Einfluss von Hormonen. Wir haben ja ganz andere Lebensabschnitte und die gehen eben mit körperlichen Veränderungen einher, zum Beispiel in der Schwangerschaft, später auch in den Wechseljahren.
Und das verändert eben auch das Risiko und den Verlauf vieler Erkrankungen. Und das ist vielen eben nicht bewusst. Also es ist zumindest so, dass gerade in der Menopause wir nicht mehr durch Hormone geschützt sind.
Frauen kriegen viel später einen oder erleiden viel später Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Männer, weil sie in den frühen Jahren durch die Östrogene geschützt sind, die aber in der Menopause eher abnehmen. Und dann sind unsere Gefäße beispielsweise eben nicht mehr so geschützt.
Julia Nogli
Und zum Beispiel Bluthochdruck kommt auch plötzlich, auch bei jemand, der vorher immer eigentlich Niedrigen hatte und rechnet dann nicht damit.
Dr. Viyan Sido
Ja, genau. Also das ist das Typische bei der Frau. In den Wechseljahren plötzlich hat sie Bluthochdruck, was sich zum Beispiel dann als Zufallsbefund äußert.
Und ja, ein Grund ist eben die Abnahme oder die, ja genau, die Abnahme der Hormone.
Julia Nogli
In welchen Bereichen gibt es denn noch Unterschiede, die mehr berücksichtigt werden müssten zwischen Männern und Frauen in puncto Medizin?
Dr. Viyan Sido
Also zum einen verarbeiten Frauen Erkrankungen häufig anders, wenn es zum Beispiel um emotionale Belastungen geht, depressive Symptome, psychosoziale Faktoren, dann spielen diese oft eine größere Rolle und beeinflussen eben auch die weibliche Genesung anders. Und gerade wenn wir, wenn es um Nebenwirkungen von Medikamenten geht, dann gibt es natürlich auch große Unterschiede, eben weil der Stoffwechsel ja unterschiedlich ist zwischen Männern und Frauen. Und da gibt es ein ganz klassisches Beispiel, ein häufig verschriebenes Schlafmittel.
Das Zolpidem, das wird im weiblichen Körper langsamer abgebaut. Das wissen wir. Und das bedeutet eben auch, dass Frauen morgens zum Beispiel nach der Einnahme noch eine viel höhere Konzentration im Blut haben können als Männer.
Also das muss man sich mal vorstellen. Und dabei bekommen Männer und Frauen meistens dieselbe Dosierung. Und ja, man konnte gerade in den USA eben auch beobachten, dass am Folgetag viel mehr Unfälle passiert sind.
Man hat nachgewiesen, dass die Frauen eben dieses Medikament auch noch im Blut hatten. Im Vergleich zu den Männern, die das auch eingenommen haben. Aber die Männer, die haben es einfach viel schneller abgebaut, weil der Stoffwechsel anders ist und weil es eben diese relevanten Unterschiede gibt.
Zum Beispiel haben Frauen einen viel höheren Körperfettanteil, während die Männer viel mehr Muskel haben als wir.
Julia Nogli
Naja, das gilt ja dann wirklich für ganz vieles, für ganz viele Medikamente auch. Wie kam das denn dazu oder kommt es immer noch, dass die Medizin eher an Männern so orientiert ist?
Dr. Viyan Sido
Ja, das ist eine gute Frage. Also ich würde sagen, ja, das hat historische Gründe. Also in der medizinischen Forschung wurden Frauen eben über viele Jahrzehnte kaum berücksichtigt.
Leider aus Sorge eben. Ja, Frauen haben hormonelle Schwankungen. Sie können schwanger werden oder weil Studien eben einheitlicher sein sollten.
Und letztlich hat das eben in den ganzen Jahren dazu geführt, dass wir viele Diagnose und Therapie Leitlinien haben, die auf Daten basieren, die überwiegend mit männlichen Probanden erhoben wurden. Und ja, die Frauen galten eben deshalb immer als Abweichung von der Norm. Und ja, man muss auch sagen, glücklicherweise hat sich das jetzt in den letzten Jahren geändert.
Und man hat gesehen, Männer und Frauen bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit, biologisch, hormonell. Ja, und deshalb schaut man jetzt eben auch viel genauer hin.
Julia Nogli
Genau, das kommt so langsam. Ist es eigentlich ein Teil auch des Studiums Medizin, also diese genderspezifische Medizin? Also das ist aktuell noch im Aufbau.
Dr. Viyan Sido
Das heißt, es gibt einige Universitäten, die haben weibliche Fächer Geschlechter, sensible Medizin. Ich unterrichte das Fach selbst an der Asketius Medical School in Hamburg und ich muss sagen, die Nachfrage ist ziemlich groß. Also man sieht auf Seiten der Studentinnen und Studenten.
Das Interesse ist da. Ich hatte ja zum Beispiel diese klassische Ausbildung. Das heißt, der Mann war die Norm.
Und wir haben das gar nicht so explizit gelernt mit der geschlechterspezifischen Medizin. Aber das soll in den nächsten Jahren auf jeden Fall flächendeckend eingeführt werden in Deutschland.
Julia Nogli
Und das ist auch gut so. Denn eines ist ja andererseits auch wieder so. Frauen gehen eigentlich eher zum Arzt, zur Ärztin und auch zu den Vorsorgeuntersuchungen.
Da sind sie ja meistens den Männern irgendwie voran. Da könnten wiederum die Männer was von den Frauen lernen. Und trotzdem sind sie sind sie nicht so richtig im Fokus, die Frauen oder wie?
Dr. Viyan Sido
Ja, das fällt auf. Also Frauen sind insgesamt, kann man sagen, gesundheitsbewusster und nutzen Vorsorgeangebote auch häufiger als Männer. Gerade wenn man sich die Check-Ups im ambulanten Bereich ansieht.
Und letztlich nehmen sie ihre körperlichen Veränderungen ja auch viel sensibler wahr. Aber Vorsorge heißt eben nicht nur, seinen Termin regelmäßig beim Arzt wahrzunehmen, sondern auch ein bisschen auf das eigene Körpergefühl zu hören, sich und die Symptome ernst zu nehmen und bei Unsicherheiten lieber einmal viel nachzufragen.
Julia Nogli
Sie leiten ja seit 2022 eine Frauensprechstunde dort im Immanuel Klinikum Bernau. Dort findet das statt einmal im Monat. Wer kommt denn dahin?
Dr. Viyan Sido
Ja, genau die Frauensprechstunde, die gibt es ja jetzt schon seit 2022 und zu uns kommen Frauen in ganz unterschiedlichen Lebensphasen. Also Frauen mit familiärer Vorbelastung, mit positiver Familienanamnese, über Patientinnen in den Wechseljahren, die plötzlich Angst haben, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken oder einfach ihr Risikoprofil besprechen wollen, bis hin zu älteren Frauen mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Häufig sind es aber auch Patientinnen und Patienten, die bei uns operiert worden sind in der Klinik und die wir nach einer gewissen Zeit wiedersehen.
Ja, und viele kommen, weil sie sich eben eine Beratung wünschen, die letztlich auch auf die Patientinnen so ein bisschen auch zugeschnitten ist. Also man bespricht natürlich das individuelle Risikoprofil, stellt Medikamente individuell ein und spricht auch über Prävention, klärt auf.
Julia Nogli
Und diese Arbeit dort, das bestätigt Sie wahrscheinlich in dem, was Sie nun schon durch die Wissenschaft wissen, dass es da Unterschiede gibt, die gewürdigt werden müssen.
Dr. Viyan Sido
Genau, also das sehen wir schon tagtäglich. Es fängt, wie gesagt, mit der Medikamentendosierung an. Die ist total unterschiedlich.
Wenn wir über Ängste und Sorgen der Patienten sprechen nach so einer OP oder auch präoperativ, dann fällt auf, es unterscheidet sich auch zwischen Frauen und Männern. Und auch die Tatsache, dass sich die Geschlechter ja auch unterschiedlich erholen nach so einem operativen Eingriff.
Julia Nogli
Ja, da sind Sie ja nun ganz umtriebig. Jetzt müssen Sie auch auf sich achten, dass Sie nicht zu viel machen an verschiedenen Orten. Aber es ist ein bisschen so Ihr Herzensthema, ja?
Dr. Viyan Sido
Genau, also ich habe vor allem in den letzten Jahren gemerkt, dass das meine Leidenschaft ist, die geschlechterspezifische Medizin und auch Prävention. Ich würde sagen, mir ist einfach bewusst geworden, wie entscheidend es ist, gerade diese biologischen und soziokulturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu berücksichtigen. Und ich habe auch erkannt, wie wichtig präventive Maßnahmen letztlich sind, um Krankheiten zu verhindern.
Ich sehe es jeden Tag in der Praxis. Durch Impfungen, durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und auch durch Förderung eines gesunden Lebensstils kann ich dazu beitragen, meine Gesundheit und auch die meiner Patientinnen und Patienten langfristig zu erhalten. Und darum geht es doch.
Und ich würde sagen, dass genau diese Erkenntnisse mich täglich motivieren, mich für die Medizin einzusetzen, die nicht nur Krankheiten behandelt, sondern auch die Gesundheit fördert und die individuellen Bedürfnisse jedes Menschen berücksichtigt.
Julia Nogli
Also Healthcare statt Sickcare, sagt die Herzchirurgin und bald Allgemeinmedizinerin Dr. Viyan Sido. Am Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg leitet sie seit drei Jahren eine spezielle Frauensprechstunde, die auch gut angenommen wird. Soweit natürlich gesund für heute.
Wenn Sie mehr Infos möchten, schauen Sie hier auf www.paradiso.de in der Mediathek unter natürlich gesund. Einen wundervollen Abend für Sie mit Radio Paradiso.